Vor etwas mehr als einem Jahr gab ich mein letztes Leasing-Auto ab. Das war der Zeitpunkt, an dem ich mit meiner Freundin bemerkte: eigentlich brauchen wir gar kein Auto in Chemnitz. In zehn Minuten sind wir mit dem Rad und in elf Minuten mit dem Auto im Garten, ein Einkauf mit zwei Fahrradtaschen reicht genauso gut für eine Woche, der Wald zur großen Gassirunde mit dem Hund ist ebenfalls einfach mit dem Fahrrad erreichbar, genauso wie die Innenstadt, bei der wir eigentlich nur bergab rollen müssen. Nur zwei Dinge gehen mit dem Fahrrad schlecht: große und schwere Sachen transportieren (passiert für den Garten hin und wieder) und sehr weite Strecken zurücklegen (besonders mit Hund).
So weit, so idyllisch. So fahren wir also nun seit über einem Jahr fast täglich Rad, sind vor etwa einem halben Jahr beide auf E-Bikes umgestiegen, um gerade den Punkt mit der Bewältigung weiter Strecken noch einmal etwas abzuschwächen. Seit Februar fahre ich nun regelmäßig wochentags mit dem Fahrrad auf Arbeit und zurück und bin so ca. fünf Minuten schneller als mit dem Bus.
Doch abgesehen von den teils wirklich seltsam geplanten, extrem holprigen oder fehlenden Fahrradwegen in Chemnitz, spüre ich etwas ganz anderes, was mir hin und wieder eine Zornesfalte oder den Angstschweiß auf die Stirn treibt:
Chemnitzer Autofahrer vergessen, dass Radfahrer lebende Menschen sind
Als Fahrradfahrer muss man als schwächerer Verkehrsteilnehmer sowieso immer für alle mitdenken. „Sieht die Frau, die da rechts abbiegen will, mich im Rückspiegel? Eigentlich hätte ich Vorfahrt…“ – „Hat der LKW-Fahrer bemerkt, dass er beim Abbiegen halb auf dem Radweg fährt?“ – „Denkt der dort daran, dass der Radweg hier endet und ich zum Geradeausfahren nach links ausscheren muss?“. Mittlerweile habe ich gelernt, auf mein Recht weitgehend zu verzichten, denn es ist mein Leben nicht Wert. Meine Reifen haben schon einige kleine Bremsplatten hier und da – und ich gehöre tatsächlich zu den (wenigen) Radfahrern, die an jeder roten Ampel stehen bleiben, und wenn sie auch noch so unsinnig ist (wie z.B. die an der Zentralhaltestelle am Johannesplatz).
Doch abgesehen von den Unaufmerksamkeiten und Fahrfehlern der Autofahrer fällt mir auch immer wieder auf: viele fahren absichtlich wie die letzten Mistkerle. Der Großteil der brenzligen Situationen entfällt sogar auf diese. Vor allem unnötige Überholmanöver vor Ampeln nehmen da einen absoluten Spitzenplatz ein. Am Ende stehen sie genau vor mir an der roten Ampel – war es das jetzt wert, so knapp vor mir wieder einzuscheren, dass ich bremsen musste, um einen gefährlichen Unfall zu verhindern? Ich begreife immer häufiger: die Autofahrer vergessen, dass ein Radfahrer nicht einfach ein (in ihren Augen) Verkehrshindernis ist, es ist ein lebender Mensch – ein zerbrechlicher, sterblicher Körper auf einem kleinen Metallgestell mit zwei Rädern und einer Kette. Ein Autofahrer verschätzt sich und hat die Möglichkeit zu bremsen und wieder hinter mir einzuscheren, in einen Bus zu krachen, oder mich so hart zu schneiden, dass ich eine Vollbremsung machen und fast den Bordstein rauffliegen muss? Dreimal kann man raten, welche der drei Varianten gewählt wurde.
Derartige Situationen lassen in mir den Wunsch keimen, mich wehren zu können. Doch ist es das wirklich wert, eine Dashcam an seinem Rad anzubringen, und derartige Situationen als Nötigung oder Verkehrsgefährdung anzuzeigen? Muss das denn wirklich sein? Muss man erst zum Fingerzeiger werden, nur damit Menschen begreifen, dass Radfahrer auch Menschen sind? Dass diese auch Familien und Kinder haben können und z.B. einfach nur auf dem kürzesten Weg von der Arbeit nach Hause möchten?
Eine schöne Aktion dazu habe ich einmal in den sozialen Netzwerken gesehen: ein Radfahrer klebte jedem, der ihn schnitt oder anderweitig gefährdete, an der nächsten Ampel einen (einfach wieder zu lösenden) Aufkleber ans Heck, auf dem im übertragenen Sinne stand: „Ich fahre wie das letzte Arschloch und gefährde dabei Menschenleben“. Teils filmte er zu späteren Gelegenheiten diese Fahrzeuge nach einigen vergangenen Tagen oder Wochen erneut – der Kleber immer noch am Platz.
Irgendwie gefällt mir die Idee.